Functional Fascial Anatomy 2020 mit Dr. Robert Schleip und Prof. Carla Stecco

Bericht von Erasmus Zimmer für die MGMS e.V.

Im Januar 2020 traf sich ein internationaler Kreis Faszienbegeisterter zum Workshop „Functional Fascial Anatomy“ in Guben nahe der polnischen Grenze.

Unter der Leitung von Prof. Carla Stecco aus Padua und Dr. Robert Schleip aus Ulm fanden sich 24 Körpertherapeuten, Bewegungsexperten und Ärzte aus 16 Ländern der Welt zusammen. Eine Woche lang gab es das neueste Wissen aus erster Hand. In Kleingruppen wurde an menschlichen Präparaten und Plastinaten die myofasziale Anatomie studiert.

Gunther von Hagens Plastinarium in Guben bietet Lernenden hierzu besonders umfangreiche Möglichkeiten und einen spektakulären Ort.

In den Sektionen wurde die Professorin für Anatomie, Carla Stecco, von zwei bekannten klinischen Anatomen, Dr. Gil Hedley und John Sharkey, unterstützt. Fernab topografischer Beschreibungen vermittelte sie explorative, funktionelle Anatomie. Sie zeigte, wie leicht „Artefakte“ entstehen können, wenn man versucht diskrete Strukturen, wie ein iliotibiales Band darzustellen, das als solches auf Anhieb nicht aufzufinden ist.

Dr. Gil Hedley erläuterte normale und abnormale fasziale Trennungen und Verbindungen am Präparat. Wo sind Kontinuitäten physiologisch? Wo sind Verbindungen „fuzzy“ (sogenanntes „lockeres“ Gewebe)? Was ist in diesem Kontext pathologisch? Wann ist von Schichten, Kapseln, Gleitlagern oder Septen die Rede?

John Sharkey zeigte auf, wie unsere Anatomie als gewachsenes Kontinuum zu verstehen ist, und wie die Form unserer Gewebe sich prozesshaft ergibt, um Funktion zu ermöglichen.

Da wir (aus) uns selbst „wachsen“, kann es keine Trennung von Organen und Gewebsschichten geben, nur komplexeste Verwringungen, Spiralen, Duplikaturen und Faltungen aus einem einzigen, gemeinsamen Ursprung. Es ergeben sich erstaunliche Einsichten in die Funktionen unserer Körperorgane wie z.B. das „Spiralige Herz“ das nicht wie eine Pumpe „schlägt“ sondern sich ver- und entwringt.

Von der mikroskopischen Zelle bis hin zu makroskopischer Struktur bestimmen tensegrale Eigenschaften die Funktionen unseres Körpers.

Als Initiator präsentierte Dr. Robert Schleip neueste Wissenschaft zur Faszie. Zum Beispiel Erkenntnisse zur Rolle von Fibroblasten in der „horizontalen“ Wundheilung; außerdem Neues zur sensiblen Innervation unseres Bindegewebes. Retinakula enthalten andere Sensoren als kraftübertragende Faszien, woraus sich eine besondere Rolle als propriozeptive Spezialisten ableiten lässt.

Auch zur Frage der Kontraktilität von Faszien gibt es neue Studien. Myofibroblasten spielen bei der Bildung von Kontrakturen in langen Beobachtungszeiträumen eine wichtige Rolle.

In ihrem theoretischen Teil präsentierte Prof. Carla Stecco eigene Arbeiten zum diagnostischen Ultraschall als Möglichkeit, die Fascia Profunda zu vermessen. Die Methode ist bislang zur Bestimmung von Dysfunktionen wegen mangelnder Reliabilität nicht geeignet, bietet aber neue Möglichkeiten in der Forschung.

Dem klassischen Dermatom stellt sie das sensible Fasziatom gegenüber. Dieses entspricht den Arealen der tiefen Faszie, die von einer einzelnen Nervenwurzel innerviert sind. Das Fasziatom hat Bedeutung für die Propriozeption im Unterschied zur Exterozeption des Dermatoms.

Die von ihr, vor Kurzem, beschrieben Fasziozyten sind auf die Produktion von Hyaluronan spezialisierte Bindegewebszellen. Bei akuter und chronischer Überlastung aggregiert übermäßig produziertes Hyaluronan wegen seiner thixotropen Eigenschaften. Statt die Bindegewebsmatrix zu schmieren, kommt es stattdessen zur „Verfilzung“ oder Verdichtung (Densification) zwischen den Schichten. Dies entspräche der Dysfunktion epimysialer und aponeurotischer Faszien.
Das Human Fascial Net Plastination Project, welches durch dieses Seminar unterstützt wurde, trägt nun Früchte. Die Arbeit der zum großen Teil anwesenden Präparatoren an diesem weltweit ersten Ganzkörperplastinat zum Thema „fasziales Netz“ geht in den Endspurt. Nach einem letzten Arbeitsschritt wird das Plastinat „Freya“ zum 6. Fascia Research Congress im September 2021 in Montreal der Öffentlichkeit präsentiert werden.